Der Jenner im Berchtesgadener Land – Ein Nachruf und ein Aufbruch

Nach einer langen Wartezeit über den Sommer, haben in den letzten beiden Wochen viele Skigebiete ihre Lifte und Pisten für die Skifahrer öffnen können. Niedrige Temperaturen und Schneefälle haben dies möglich gemacht.

Für ein Gebiet war diese Wartezeit jedoch länger, als für die anderen. Am Jenner im Berchtesgadener Land konnte man zuletzt im März 2017 Ski fahren. Die Bergbahngesellschaft hat sich daraufhin selbst eine Saison Pause vom Skibetrieb genommen um die alten Seilbahnen komplett zu modernisieren.

In einem, für die bayrischen Alpen, beispiellosen Bauprojekt, sollten gleich drei Bahnen auf einen Streich abgerissen und neu gebaut werden. Für das komplette Vorhaben wurde eine Bauzeit von knapp 1 ½ Jahren veranschlagt. Diesen Winter sollte das komplette Gebiet wieder für Wintersportler geöffnet werden. Darunter auch die lange Gondelbahn, die von Schönau am Königssee bis knapp unterhalb des Jenner führt. Die alte Bahn ließe sich zuletzt beinahe als historisch einordnen, handelte es sich doch um eine wahre Rarität. Die Jennerbahn war bis zu ihrem Abbruch die letzte Seilbahn im Alpenraum die noch mit einer Klemme aus den Pioniertagen der Kuppelklemmentechnik fuhr. Bahnen mit einer solchen Klemme nach dem System VR101 gibt es im Alpenraum nun nicht mehr. Die Sesselbahn auf den Mückenberg ins Tschechien ist jetzt weltweit die letzte Anlage, die auf diesem System betrieben wird.

Die alte Von Roll Jennerbahn

Dabei brachte das System der kuppelbaren Klemmen der aufstrebenden Seilbahnbranche der 50er und 60er Jahre einen enormen Schub. Kuppelbare Bahnen konnten nun deutlich höhere Fahrgeschwindigkeiten erreichen, als die fix an das Seil geklemmten Lift. Damit konnten auch viel mehr Menschen befördert werden. Moderne Skigebiete wären ohne diese Technik, die auch von anderen Herstellern aufgegriffen und stetig verbessert wurde, nicht vorstellbar.

Eine der letzten Bahnen mit dem VR101 Klemmensystem

Auch wenn die alte Jennerbahn bei ihrem Abbruch 2017 nicht mehr mit den originalen „Seitwärtssesseln“ bestückt war und stattdessen mit seitwärts gerichteten Gondeln ersetzt wurden, wäre die Bahn bei ihrem Ende fast als Industriedenkmal zu bezeichnen gewesen. Wenn nicht im Maßstab einer Zeche Zollverein in Essen oder anderer Denkmäler der Schwer- und Montanindustrie, so legte auch die alte Jennerbahn Zeugnis vergangener Kulturgeschichte im Alpenraum ab. Sie erinnerte bis zuletzt an die Geschichte der touristischen Erschließung der Alpen. Diese Erschließung prägt den Alpenraum und dessen Bewohner noch heute ähnlich stark, wie die Bergbauindustrie das Ruhrgebiet geprägt hat.

Jennerbahn im Mittelstationsbereich

Als der Abbruch der alten Bahn absehbar war, wollte ich sie selbst noch einmal erleben und plante für den Januar 2017 eine mehrtägige Skisafari durch Oberbayern. Besonderes Augenmerk wollte ich dabei auf die kleineren und teilweise von Modernisierung oder Aussterben bedrohten Skigebiete legen.

Wenngleich die Uhren in Bayern langsamer ticken als bei den Nachbarn in Österreich, läuft auch in Bayern die Zeit für alte und interessante Seilbahnen allmählich ab. Einige Skigebiete werden modernisiert, wie etwa die Skigebiete am Sudelfeld, Spitzingsee oder eben am Jenner; andere Skigebiete werden über kurz oder lang dem Klimawandel zum Opfer fallen oder der Skibetrieb rechnet sich nicht mehr. Wer in Bayern das rustikale Skierlebnis sucht, wird es immer seltener finden. Stattdessen fallen immer mehr klassische Skigebiete weg oder werden so banalisiert, dass sie auf mich keinen Reiz mehr ausüben.

Übrig bleiben zusehends die Ischgls und die Zillertalarenen dieser Welt.

Schon die erste Etappe meiner Oberbayern-Safari führte mich zum Jenner im Berchtesgadener Land. Eigentlich wollte ich an diesem Tag noch zum Hochfelln bei Bergen im Chiemgau fahren und dort übernachten, aber meine Anreise verzögerte sich und somit konnte ich den kompletten Tag am Jenner verbringen.

Den Hochfelln musste ich sodann leider komplett auslassen, da ich ansonsten mit meiner geplanten Route nicht hinterher gekommen wäre. Ihm muss ich wohl ein anderes mal einen Besuch abstatten.

Die folgenden Tage führten mich an die Kampenwand, den Wendelstein, Lenggries und nach Garmisch-Partenkirchen wo ich noch ein letztes mal mit der alten Eibseeseilbahn zur Zugspitze fahren wollte. Diese wurde mittlerweile ja auch durch einen Neubau ersetzt, der leider schon negative Schlagzeilen machte, als eine Kabine bei einer Übungsfahrt komplett zerstört wurde.

Ich konnte auf meiner Safari leider nicht alle interessanten Gebiete mitnehmen. Die interessantesten sind wahrscheinlich noch offen und verlangen nach einem Besuch in einem der nächsten Winter; sofern sie dann überhaupt noch existieren.

Nun stand ich aber erst mal an der Talstation der altehrwürdigen Jennerbahn. Sie begrüßte mich in einer klassisch alpenländischen Optik. Der Neubau an selber Stelle fällt nicht mehr in diese Kategorie. Nun legt man mehr Wert auf Design, wenn auch nicht unbedingt weniger kitschig. Aber das ist bekanntlich Geschmackssache.

Die Talstation der alten Jennerbahn 
Der Jenner im Winter 2016/2017

Nicht geändert hat sich zum Glück das beeindruckende Panorama. Zwischen Watzmann, Königssee und Hohem Brett liegt das Skigebiet am Jenner in einer besonders sehenswerten und hochalpinen Ecke Bayerns.Egal wie man die Entwicklung am Jenner beurteilt; mit diesem Trumpf können die Bergbahnen immer stechen.

Blick in Richtung Untersberg und Salzburg
Der mächtige Watzmann ist immer im Blick

Auch wenn hier und da sicherlich Pistenkorrekturen stattgefunden haben, können die Baumaßnahmen nichts am eher schwierigen Profil der Pisten ändern. Bis auf die Talabfahrt, sind die Abfahrten am Jenner eher auf der schwierigen Seite anzusiedeln. Überraschend daher auch die Entscheidung des Investors, nicht mehr auf dieses Pferd zu setzen. Stattdessen wurde im Mittelstationsbereich eine neue Sechsersesselbahn für Anfänger errichtet. Das eigentlich Potential des Jenners spielt sich allerdings im Mitterkaselkessel in der oberen Hälfte ab. Hier ist viel Raum um zwischen den lichten Lärchenwäldern auch abseits der präparierten Pisten auf seine Kosten zu kommen.

Lärchenwald im Mitterkaserkessel
Das Hohe Brett

Nicht unterschlagen möchte ich an dieser Stelle auch den berühmten Spinnergraben der einigermaßen parallel zur zweiten Sektion der Jennerbahn vom Gipfel fast senkrecht zur Jennerwiese sticht. Hier wird vom Deutschen Alpenverein jeden Winter der sogenannte Jennerstier ausgetragen. Ein Wettkampf im Skibergsteigen, bei dem der schwierige Spinnergraben bewältigt werden muss. Wer sich das Spektakel selbst einmal anschauen möchte, kann dies am Wochenende vom 15. bis 17. Februar tun.


Die zweite Sektion der Jennerbahn für steil bergauf
Ganz mutige stürzen sich den fast senkrechten Spinnergraben parallel zur Seilbahn hinab

War der Umbau am Jenner also überhaupt nötig? Ist er ökologisch zu vertreten?

Obwohl der historische Wert des Skigebietes, wie eingangs beschrieben, sicherlich nicht zu vernachlässigen war, ist es dennoch fraglich, ob das Skigebiet in diesem Zustand noch eine längere Zukunft gehabt hätte. Die Jennerbahn war bei ihrem Abbruch bereits 65 Jahre alt und hätte nicht mehr viel länger in dieser Form betrieben werden können.

Die alte Jennerbahn war auch bezüglich der Vielzahl der Stützen ein Auslaufmodell. Die neue Jennerbahn benötigt nur einen Bruchteil dessen.

Auch die restlichen Anlagen waren, wenn auch nicht komplett abbruchreif, mit den Anforderungen des heutigen Skisports trotzdem nicht mehr konform. So hätte man den Skibetrieb am Jenner ohne eine Modernisierung wohl mittelfristig auslaufen lassen müssen.

Die alte Mitterkaser Doppelsesselbahn vor dem Hohen Brett und dem Mitterkaser Schlepplift
Diese wird nun auch durch eine Sechsersesselbahn ersetzt

Ein Szenario das so manchem Naturschützer wohl nicht gänzlich unsympathisch gewesen wäre. Vor und während der Bauarbeiten haben sich Naturschützer und die Verantwortlichen der Jennerbahn regelmäßig beharkt.

Bereits kurz nach Beginn der Bauarbeiten im Sommer 2017 gab es erste Unstimmigkeiten über die Ausmaße der Bergstation, welche wesentlich größer werden sollte als die alte. Die Planungen erfassten unter anderem eine 140 qm² Betriebsleiterwohnung. Der Bund Naturschutz hat der Bergbahn in diesem Zusammenhang vorgeworfen, ein nötiges Genehmigungsverfahren umgangen zu haben. Obwohl man sich im Folgenden gütlich einigte, mussten die Bauarbeiten zum ersten mal für einige Wochen ruhen.

Im Winter 2017/2018 hat der Bund Naturschutz sodann einen Eilantrag eingereicht um einen Baustopp zu erwirken, weil die Baufahrzeuge trotz geschlossener Schneedecke weiter die Baustraße befuhren, die zu diesem Zwecke mit Salz gestreut wurde. Da die Baustraße aber durch den Nationalpark Berchtesgaden verläuft und der Einsatz von Streusalz hier nicht gestattet ist, mussten die Bergbahnen die Arbeiten bis zu einer abermaligen Einigung vorläufig ruhen lassen.

Im Winter 2017/2018 musste der Skibetrieb (planmäßig) komplett ausfallen

Als dann im Frühjahr 2018 der Schnee langsam schmolz, versteckte sich für die Bergbahn aber bereits das nächste Problem im Gebüsch. Im wahrsten Sinne des Wortes. Das streng geschützte Birkhuhn hat unterhalb des Jenners eine Heimat gefunden und bereitete sich schon auf die Balz vor. Zwischen März und Anfang Juni darf es dabei nicht gestört werden. Also konnte wieder nicht in dem Tempo gearbeitet werden, wie man sich dies vorgestellt hat.

Den Naturschützern die alleinige Schuld an dieser Situation zu geben, wäre jedoch verfehlt. Die Umstände die zu den jeweiligen Bauverzögerungen führten, mussten den Verantwortlichen bereits von Anfang an klar gewesen sein. Genehmigungsverfahren, Vorschriften für Baumaßnahmen im Nationalpark, das Birkhuhn und Schnee im Winter sind nicht einfach aus heiterem Himmel gefallen. Gut, letzteres mag schon einmal vorgekommen sein. Es stellt sich in der Rückschau aber schon die Frage, ob das Projekt richtig angegangen wurde.

Jenner vor Watzmann

Klar ist, dass den Verantwortlichen Einnahmen entgangen sind, die dem Unternehmen nach den kostspieligen Baumaßnahmen sicherlich gut getan hätten. Nun ist es wie es ist und ein Ende der Arbeiten ist in Sicht.

In dieser Saison ist die Bahn nur bis zur Mittelstation in Betrieb

Im nächsten Winter wird das Skigebiet wieder komplett geöffnet sein und der Jenner zeigt sich von einer völlig neuen Seite. Bei aller Trauer über den Abbruch der alten Bahn darf man auf diesen Neuanfang gespannt sein.